Besonderheiten von Kunsthochschulen
Studium und Lehre an einer Kunsthochschule unterliegen einem permanenten Aushandlungsprozess, der sich in andauerndem Diskurs mit der Öffentlichkeit befindet. In ihrem Selbstverständnis verstehen sich die Kunsthochschulen als kulturelle Seismographen für zukünftige gesellschaftliche Entwicklungen, als Institutionen, in denen die wesentlichen Impulse aus künstlerischem Handeln erwachsen.
In Deutschland existieren 25 in der Kunsthochschulenkonferenz (KHK) zusammengeschlossene Kunsthochschulen und Kunstakademien¹. Diese sind – durchaus vergleichbar auch mit anderen Hochschultypen – in ihren jeweiligen Traditionen, Fächerangeboten und Strukturen sehr divers. Die klassische Vorstellung vom Studium in den traditionellen Künsten wie Malerei und Bildhauerei verbindet diese Hochschulen; Sie wird an einigen Kunsthochschulen und -akademien durch eine Vielzahl von weiteren künstlerischen, gestalterischen und medialen Studienrichtungen ergänzt. Viele dieser Institutionen sind im Zuge des Bolognaprozesses auf ein modularisiertes, Leistungspunkte-basiertes Bachelor/Master-Studium teil- oder ganz umgestaltet worden. Einige bieten aber nach wie vor Diplom- oder Absolventenabschlüsse mit einem zumeist 10-semestrigem Studium an. In der zurückliegenden Debatte um die Einführung der BA- und MA-Programme hat die KHK eine konsequente Gegenposition eingenommen, da vorgegebene modulare Studienstrukturen einer künstlerischen und/oder medialen und/oder gestalterischen Entwicklung nicht entgegenkommen.
Institutionelle und inhaltliche Eigenständigkeit
Die Kunsthochschulen in Deutschland haben weltweit einen hervorragenden Ruf, der sowohl auf ihre institutionelle als auch inhaltliche Eigenständigkeit zurückzuführen ist. Diese Unabhängigkeit repräsentiert auch der Zusammenschluss aller Kunsthochschulen in der KHK. Die Eigenständigkeit der Kunsthochschulen ist eine wesentliche Voraussetzung für den internationalen Erfolg dieser Organisationsform, der u.a. dazu führt, dass sich beispielsweise Studierende aus aller Welt an deutschen Kunsthochschulen bewerben, obwohl sie in ihrem Heimatland bereits ein vollständiges Kunststudium absolviert haben.
Trotz dieser herausragenden Stellung erleben die Kunsthochschulen in den Bundesländern zum Teil nicht unerheblichen Druck, der daher rührt, dass ein Bewusstsein um die gesellschaftliche Wichtigkeit und Notwendigkeit der Künste², etwa im Sinne einer Instanz kultureller Imagination wie kritisch-reflexiver Zivilität, nicht in allen Parteien durchgängig verankert scheint. Vor diesem oft ungerechtfertigten Druck, ausgeübt etwa durch Instrumente des Verwaltungsrechts oder auch der Hochschulsteuerung, sind die Kunsthochschulen unbedingt zu schützen.
Künstlerische Eignung
Die Bewerbungsphase an allen Kunsthochschulen ist offen für alle an den jeweiligen Ausbildungsangeboten interessierte Menschen, unabhängig von ihrer vorherigen Bildung. Voraussetzung ist, dass sie die künstlerischen Eignungsvoraussetzungen für das Studium erfüllen. Diese künstlerische Eignung wird von Zulassungskommissionen in gestuften Bewerbungsprozessen geprüft. Die Aufnahmequote ist im Verhältnis zur Anzahl der Bewerbungen sehr gering, so dass bereits vor bzw. mit der Aufnahme ein Qualitätsprüfungsprozess jeder einzelnen Bewerbung erfolgt.
Besonderheiten der künstlerischen Lehre
Qualität und Bewahrung der Prinzipien künstlerischer Lehre sind auch im weiteren Studienverlauf grundlegende Voraussetzungen für Erfolg und Entwicklung der Studierenden an einer Kunsthochschule bzw. Kunstakademie. Die Modelle sind unterschiedlich. So liegt dem gesamten Studienverlauf an den meisten Kunsthochschulen die Aufnahme in eine professoral geleitete Klasse zugrunde. Ob mit oder ohne Klassenstruktur wird die künstlerische Lehre maßgeblich durch die intensive Anleitung der lehrenden Persönlichkeiten geprägt, die die Studierenden im Atelier- oder Projektstudium begleiten. Die individuelle Betreuung beginnt nicht erst mit den Abschlussarbeiten, sondern prägt den gesamten Studienverlauf, gilt es doch, eigenständige künstlerische Individuen zu fördern und in ihren jeweiligen Schwerpunkten zu bestärken. Die von einer künstlerischen Professur geleitete Klasse bietet den Rahmen, in dem künstlerische Diskurse der Studierenden begleitet und gefördert werden können.
In der Kunst ist – abweichend vom methodisch gestützten wissenschaftlichen Denken – eine andersgeartete, ganz eigene Erkenntnisfähigkeit am Werk, die ihre Andersheit u. a. aus dem Zuspiel des Unbewussten und aus ungesteuerten Prozessen des künstlerischen Denkens bis hin zur Erfolgs-Generierung aus der Fehlerproduktion gewinnt. Die entstehenden Ideen rufen nicht vorhersehbare Dynamiken hervor. Sie sind auch im Einzelfall nicht zu konzeptionieren, zu modularisieren oder als Ziel zu definieren. Die Eigenheiten künstlerischer Entwicklungsprozesse bedürfen eines größtmöglichen gesellschaftlichen und hochschulischen Freiraumes, der schutzbedürftig ist. Die Kunsthochschulen bieten jenen rahmenden und auch fordernden Raum, in dem Neues entstehen kann. Sie garantieren den dafür erforderlichen unbedingten und von großer Freiheit geprägten Schutzraum.
Wissenstransfer künstlerischer Arbeit in die Öffentlichkeit
Es gehört zu den in den meisten Landeshochschulgesetzen verankerten Spezifika der Kunsthochschulen, nicht nur die Pflege und Entwicklung der Kunst, sondern auch deren Vermittlung in die Öffentlichkeit zu betreiben. Diese besondere Aufgabe unterscheidet sie von den allermeisten universitären Fachbereichen. Hieraus ergeben sich nicht nur besondere strukturelle, sondern auch personelle, räumliche und finanzielle Erfordernisse (Ausstellungsräume- und -budgets, Kuratoren etc.), die es anzuerkennen gilt und für die Fördermöglichkeiten bereitgestellt werden müssen. Rundgänge und Tage der Offenen Tür – vergleichbar mit den mancherorts realisierten Langen Nächten der Wissenschaft – gehören seit Jahrzehnten zur Praxis der Kunsthochschulen. Sie stellen sich so alljährlich einer breiten gesellschaftlichen Öffentlichkeit zur Rezeption
¹ Darunter sind auch drei teilautonome Institutionen – Mainz, Kassel und Weimar – die in der HRK nicht eigenständig, sondern über ‚ihre‘ jeweiligen Universitäten vertreten sind.
² Die Begriffe „Kunst“ und „künstlerisch“ umfassen pars pro toto auch die gestalterischen Studiengänge der Kunsthochschulen.