Der einstimmigen Verabschiedung des Papiers ging eine intensive und konstruktive Diskussion in der Arbeitsgruppe sowie in den Sitzungen der Kunsthochschulenkonferenz (KHK) in Offenbach und Berlin voraus. Die Arbeitsgruppe, unter der Leitung des stellvertretenden Vorsitzes und mit der wertvollen Mitarbeit vieler engagierter Mitglieder, hat hierbei eine zentrale Rolle gespielt. Dieser Prozess des Austauschs innerhalb der KHK hat dazu beigetragen, wesentliche Themen zu beleuchten und Lösungen zu erarbeiten, die nun zur weiteren Diskussion in den einzelnen Bundesländern zur Verfügung stehen.
Eckpunktepapier für weitere eigenständige künstlerische / küntlerisch-gestalterische postgraduale Abschlüsse an Kunsthochschulen
§ 1 Präambel
Die Kunsthochschulenkonferenz (KHK) nimmt mit diesem Eckpunktepapier ihre Verantwortung für die Weiterentwicklung des deutschen Hochschulraumes im Bereich der bildenden Kunst / der Kunsthochschulen wahr.
Die sogenannte Dritte Phase an Kunst- und Musikhochschulen beschreibt die Entwicklung von postgradualen Abschlüssen und Programmen. Sie schließt an das Studium (Diplom bzw. Akademiebrief oder Bachelor / Master) an. Entsprechend der vom Wissenschaftsrat[1] empfohlenen Unterscheidung von künstlerischer, wissenschaftlicher und hybrider postgradualer Qualifikation, geht es in diesem Papier ausschließlich um künstlerische bzw. künstlerisch-gestalterische Abschlüsse an bundesdeutschen Kunsthochschulen.[2]
Während hybride Promotionen mit wissenschaftlichem und künstlerischem Anteil an einigen Hochschulen bereits umgesetzt sind bzw. sich in der Umsetzung befinden, stehen eigenständige künstlerische postgraduale Abschlüsse in Deutschland in der Diskussion. Dieser Abschluss ist eine Entsprechung zur wissenschaftlichen und hybriden Promotion mit Schwerpunkt künstlerischer oder künstlerisch-forschender Arbeit. Zentral ist dabei die Ausformulierung der institutionellen Bedingungen für künstlerische Praxis und künstlerische Forschung – letztere als inhaltliche, methodische und ästhetische Wissensproduktion und Reflexion in künstlerischen Arbeitsprozessen.[3]
Im Zuge der Weiterentwicklung des europäischen bzw. internationalen Hochschulraumes muss auf die Forderung nach Einrichtung einer postgradualen Phase angemessen reagiert werden. Es liegt im Interesse vieler Mitgliedshochschulen der KHK entsprechend ihrer Ausrichtung, erfolgreichen Absolvent:innen durch geeignete Abschlüsse Laufbahnanschlüsse auch im internationalen Hochschulraum zu bieten sowie entsprechend für Absolvent:innen anderer Kunsthochschulen auch diesbezüglich im internationalen Kontext attraktiv zu sein.
Vor diesem Hintergrund haben die deutschen Kunsthochschulen die Verantwortung sicherzustellen, dass die inner- und außerhochschulischen gewachsenen Faktoren ihres internationalen Erfolgs, die u.a. auf einer durchgehenden Stärkung der Kunstfreiheit beruhen, nicht aufs Spiel gesetzt werden. Eine reglementierende Akademisierung künstlerischer Laufbahnen, die diesen Bewährungszusammenhang umginge, läge nicht im Interesse der Kunsthochschulen. Ein postgradualer, künstlerischer Abschluss darf in keinem Fall zukünftig als Voraussetzung für die Berufung/Einstellung für eine hochschulische Laufbahn im Bereich der Künste gelten.[4]
§ 2 Ziele
Mit diesem Eckpunktepapier wird von der KHK ein Rahmen zur Ausgestaltung der Dritten Phase für künstlerisch-gestalterische postgraduale Abschlüsse vorgeschlagen, der die Vielfalt der bundesdeutschen Kunsthochschulen und die qualitätssichernden Faktoren des außerakademischen Kunstbetriebs ebenso berücksichtigt wie die Funktionen, die diese Abschlüsse in Zukunft haben können oder sollen.
Ziele sind:
- die Qualität der postgradualen künstlerisch-gestalterischen Abschlüsse zu gewährleisten,
- eine Vergleichbarkeit im bundesweiten und internationalen Kontext herzustellen,
- die spezifischen Bedingungen der Kunstfreiheit als unverzichtbare Voraussetzung einer fortgesetzten Weiterentwicklung von Kunstpraxis und Kunstbegriff zu sichern,
- einen Ermöglichungsraum für die Förderung von Forschung in den Künsten zu schaffen,
- einen Rahmen für die Entwicklung von Förderinstrumenten zu bieten.
§ 3 Bezugsfeld des Eckpunktepapiers
Die deutschen Kunsthochschulen und ihr Prinzip, jeweils herausragende Protagonist:innen der Gegenwartskunst als Professor:innen zu berufen, stellen ein weltweit anerkanntes Erfolgsmodell dar. Die Anzahl und Vielfalt der Hochschulen mit ihrer je eigenen Entstehungsgeschichte, mit und ohne angewandte Bereiche (Design, Architektur) sowie die einzigartige und vielfältig strukturierte Landschaft von Kunst- und Kulturinstitutionen (wie Museen, Galerien, Stiftungen, Preise, Stipendien- und Residencyprogramme) in Deutschland sind weitere maßgebliche Erfolgsfaktoren dieses Modells.
Für postgraduale Abschlüsse, die ausschließlich der künstlerischen Professionalisierung im oben beschriebenen Sinne dienen, sollten darüber hinaus weder curriculare noch strukturelle Standards einheitlich vorgegeben werden. Die konkrete Ausgestaltung muss in der Verantwortung der jeweiligen Hochschule liegen.
In diesen Kontext gehört auch der Meisterschülerabschluss, insofern die Verleihung des Titels auf einem mehr oder weniger curricular strukturierten Studium und einer entsprechenden Abschlussprüfung beruht und nicht lediglich als Ehrentitel oder Auszeichnung auf Vorschlag verliehen wird.[5] Da diese Abschlüsse jedoch keine Voraussetzung für eine hochschulische Laufbahn darstellen noch zukünftig darstellen sollen und sich ihre Qualität im Wirkungszusammenhang des öffentlichen Kunstbetriebs insbesondere im Falle der Neukonzeption zu etablieren und zu bewähren hat, besteht keine Veranlassung für eine über die genannten Kriterien hinausgehende Standardisierung.
Insofern vor dem Hintergrund der Entwicklung des europäischen Hochschulraumes im Zuge der Bologna-Reform von den bundesdeutschen Kunsthochschulen die Einrichtung einer postgradualen („dritten“) Phase erwartet würde, wäre dies nicht ohne eine entsprechende additive Gegenfinanzierung in den Hochschulhaushalten akzeptabel.[6]
§ 4 Voraussetzungen für einen künstlerisch-gestalterischen postgradualen Abschluss
Folgende qualitätssichernden, insbesondere institutionellen Bedingungen sollten grundsätzlich für alle künstlerischen Abschlüsse gelten:
- Für ein postgraduales Studienangebot der künstlerischen Praxis und Forschung werden angemessene Ressourcen und Ausstattung benötigt (insbes. zusätzliche Qualifizierungsstellen bzw. Stipendien, Werkstätten, Studios, Bibliotheksressourcen, Digitale Infrastruktur und Verwaltungskapazitäten).[7]
- Es muss eine ausreichende Zahl von künstlerisch-gestalterischen Professuren an der Hochschule bzw. im Falle einer Kooperation in den kooperierenden Einrichtungen insgesamt vorhanden sein, um eine professionelle Beratung, Betreuung und Begleitung zu gewährleisten.
- Zugang, Betreuung und Abschlussprüfung werden in einer Ordnung geregelt, die transparent und öffentlich zugänglich sein muss. Es ist Entscheidung der Hochschule, ob sie unterschiedliche Ordnungen für die rein künstlerische und die künstlerisch-forschende dritte Phase vorsieht.
- Das Ergebnis der Prüfung muss der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden – qua Publikation, Ausstellung, Konzert, digitalem Repositorium, o.ä.
- Kooperationen von Hochschulen sind explizit erwünscht und müssen dahingehend ausgelegt sein, dass eine verlässliche und angemessene Betreuung über die Gesamtdauer der Vorhaben gewährleistet ist.
§ 5 Weitere Bedingungen für den Fall eines künstlerischen PhD
Die folgenden zusätzlichen Empfehlungen für Rahmenvorgaben beziehen sich auf die Vergabe eines PhD oder PhD-äquivalenten Abschlusses:
Qualifikation
- Zugang zu der postgradualen Phase sollte in jeder Hochschule durch eine Auswahlkommission geregelt werden, die Zugangskriterien festlegt und eine besondere Eignung feststellt.
- Die Hauptbetreuung muss bei einer Professur mit künstlerisch-gestalterischer Kompetenz oder mit angemessenen äquivalenten Kompetenzen im relevanten künstlerischen bzw. künstlerisch-forschenden Feld liegen. Betreuungen können auch kooperativ über Institutionengrenzen hinweg stattfinden.
- Betreuung und Begutachtung der Vorhaben muss durch eine Kommission aus mindestens zwei Personen mit dem entsprechenden Kompetenzfeld erfolgen.
- Es soll eine Betreuungsvereinbarung abgeschlossen werden, in der die Planungen, Rechte und Pflichten der betreuten Personen und Betreuenden festzuhalten sind.
Strukturierung
- Die Dauer der postgradualen Phase wird in der Ordnung geregelt.
- Die postgradualen Phase sollte beinhalten:
- Vorlage eines Exposés vor Beginn der Phase
- Wünschenswert sind Lehrangebote im Bereich von künstlerisch-gestalterischer Praxis und Forschung und idealerweise ergänzende Formate (z.B. Kolloquien, Graduiertenschulen, Sommerschulen).
- Ergänzend sollten auf Wunsch Lehrerfahrungen ermöglicht werden.
- Regelmäßiges Feedback sollte vorgesehen werden.
Ergebnis / Abschluss
- Vorlage und Präsentation eines konkreten Vorhabens bzw. der Beschäftigung mit einer konkreten künstlerisch-gestalterischen Fragestellung in einem geeigneten Format.
- Die Qualität der erbrachten Leistungen muss anhand von transparenten und nachvollziehbaren Maßstäben durch eine Prüfungskommission beurteilt werden. Die Kriterien[8] sind in einer entsprechenden Ordnung der Hochschule zu definieren und darzulegen.
- Der Abschlussgrad sollte bundesweit möglichst übergreifend einheitlich definiert werden (z. B. PhD in Arts bzw. PhD in Arts Practice). Den Hochschulen sollte es möglich sein, entsprechend ihrer Tradition den Titel mit bisher verwendeten Titeln zu ergänzen.
- Die internationale Vergleichbarkeit der Programme bzw. des Abschlusses ist anzustreben.
[1] Wissenschaftsrat (2021): Empfehlungen zur postgradualen Qualifikationsphase an Kunst- und Musikhochschulen, Köln. URL: https://www.wissenschaftsrat.de/download/2021/9029-21.html
[2] Im Folgenden wird vereinfacht vom künstlerisch-gestalterischen Abschluss geschrieben.
[3] Vgl. dazu die Definition zu Künstlerischer Forschung des Wissenschaftsrats (2021), S. 55
[4] So auch der Wissenschaftsrat (2021), S.67f.: „In der künstlerischen postgradualen Phase spielt die Vorbereitung auf eine künstlerische Professur an einer KMHS eine eher kleine Rolle. Der Wissenschaftsrat sieht den traditionellen Karriereweg zur künstlerischen Professur über eine exponierte künstlerische Tätigkeit außerhalb der Hochschulen auch weiterhin als zentral an, um das hohe Niveau der künstlerischen Ausbildung zu erhalten. Ein Abschluss einer postgradualen Phase sollte daher nicht zur regelhaft notwendigen Voraussetzung für eine Professur werden.“
[5] Dies ist nicht durchgängig der Fall. Siehe Empfehlungen des Wissenschaftsrats.
[6] „Der Wissenschaftsrat empfiehlt zum einen, Stipendien zur Finanzierung des Lebensunterhalts der Graduierten bereitzustellen. Die Länder sollten prüfen, wie sie ihre Graduiertenförderung dem Bedarf der Künste anpassen (oder eine solche einführen) können, ohne dass dies zulasten der für wissenschaftliche Promotionen oder der für das grundständige Kunststudium bereitgestellten Mittel geht. Auch Stiftungen könnten solche Angebote auflegen. Empfohlen wird zum anderen, zusätzliche Qualifikationsstellen an den KMHS einzurichten. Der Wissenschaftsrat appelliert an die Länder, die künstlerischen Hochschulen bei der Stärkung der postgradualen Phase zu unterstützen. In diesem Sinne sollten an einer ausgewählten Zahl von Standorten Graduiertenschulen durch Anschubfinanzierungen geschaffen und bewährte Strukturen langfristig gesichert werden.“ (Wissenschaftsrat 2021, S.12)
[7] In den Florence Principles on The Doctorate in The Arts ist die Rede von „an effective infrastructure which includes an international dimension (co-operations, partnerships, networks). […] Artistic doctoral projects require adequate resources and infrastructure, in particular studio space and exhibition/ performance environments. Funding for doctoral researchers in the arts is crucial.” (ELIA 2011, S.11)
[8] In Bezug auf die Künste können die angewandten Formen des Peer-Reviews wichtiger werden als ein Kriterienkatalog, der meist weder vollständig sein kann noch durchgängig in Gänze anwendbar. In den Florence Principles wird „the discussion of best practices and role models, without fixing a normative canon or becoming bogged down in loose descriptions of criteria” (ELIA 2011, S.6) empfohlen.